Kapitel 12

Sie war müde. Eigentlich hätte sie Raum benötigt, allein zu sein. Darüber, dass es diesen Raum in absehbarer Zeit nicht geben würde und sie das bis zum Anschlag fordern würde, wollte Nhouria nicht nachdenken. Wozu sollte sie es tun? Doch in der Stille und mit der Müdigkeit wanderten ihre Gedanken.


Die Nacht auf diesem Planeten war erstaunlich kalt. Alle hatten sich eng aneinander gedrängt, nach der großen Hitze zitternd vor Kälte und Erschöpfung. Indem sie anbot, Wache zu halten, während sie schliefen, hatte Nhouria für eine Weile aus dieser Enge entkommen können, aus dem Cocktail von Gerüchen und Geräuschen, der unterschiedlichen Präsenz all dieser Leute – und vor allem aus dem Durcheinander von Emotion, das sie umschwirrte wie ein Insektenschwarm.


Sie zog ihre Robe um sich. Das ist es, was am meisten Kraft kostet. Es war ein so gewaltiger Ansturm. Der Schmerz und die verzweifelte Einsamkeit Jonars... Beos eiserner Wille, die Kontrolle über sich selbst niemals zu verlieren... Ellanias Trauer und Resignation... Und Leonora.


Dass Jonar ihr über die Macht eine Tür zu sich geöffnet hatte, verblüffte Nhouria. Sie konnte fühlen, welche Qual ihn gefangen hielt. Dennoch hatte er entschieden, in Kontakt zu treten. Es ist eine so erwachsene Entscheidung. Der Junge hat Für und Wider abgewogen, wie ein erfahrener Jedi, dachte Nhouria. Nüchtern und klar, abseits seiner Emotionen. Sie sah zu dem schlafenden Kind, das Ellania zwischen sich und Beo gepackt hatte. Ganz behutsam hatte sie die Verbindung aufgenommen, hatte ihm ihre Nähe vermittelt, ohne ihn zu bedrängen. Wenn wir länger hier bleiben müssen, ist es meine Verantwortung, ihn zu unterweisen. Sie fürchtete die Verantwortung; die, die sie als Jedi für all diese Leute hatte, und besonders die für Jonar. Wenn ich noch einmal versage...


Leonora und sie teilten eine ähnliche Erfahrung; das wusste Nhouria. Eine Weile hatte sie bei der Schlafenden gesessen, deren ganz eigenen Insektenschwarm von Gefühlen ausgehalten und gewartet. Etwas hatte ihr gesagt, dass die junge Frau ihre Gegenwart benötigte. Aber als Leonora ihre Augen aufschlug, war Nhouria zurück gefahren: nicht vor dem Schmerz in ihrem Blick, sondern vor der Hoffnung, die in den metallblauen Augen zu lesen war. Ich bin nicht, was du suchst!


Sie machte einige Schritte, weiter fort von den Schlafenden, in die absolute Stille der Wüste hinein. Aber ich wäre es so gern.

Die Entscheidungen waren nur der Anfang von etwas. Wenn man einen Entschluss gefasst hatte, dann tauchte man damit in eine gewaltige Strömung, die einen mit sich riss, zu einem Ort, den man sich bei dem Entschluss niemals hätte träumen lassen. (Paulo Coelho)