Kapitel 14

„Okay. Kannst du sehen, was Jiel will?“, fragte Katie, hielt Leonoras Kopf fest, und beobachtete, wie ihr rechter Augapfel in die äußere Ecke wanderte. Wie verabredet, stellte Jiel, der ein wenig rechts hinter Leonora stand, pantomimisch einen Becher dar, den er zum Mund führte.


„Etwas zu trinken“, murmelte Leo und kniff ihr Auge zu. „Großartig“, lobte Katie. Dr. Deloran. „Aber es strengt dich noch an, oder?“ Ihre Patientin zuckte die Achseln und drehte sich zu Jiel, dem sie dankbar zunickte. Jiel gab einen lakonischen Kommentar ab. „Ja, vermutlich hätte ich es angesichts der thermischen Bedingungen auch raten können“, grinste Leonora. Katie wunderte sich immer noch, dass Leo augenscheinlich perfekt Sullustanisch verstand. Ist sie soviel herum gekommen? Sie ist kaum älter als ich.


„Du hast das alles mehr als gut überstanden“, fasste sie ihre Untersuchungsergebnisse zusammen und reichte Leo eine Hand, um sie vom Boden hochzuziehen. „Obwohl wir fast nichts haben, um Verletzte oder Kranke zu versorgen.“ Leo nahm die Unterstützung an und legte Katie kurz eine Hand auf die Schulter, als sie stand. „Du hast es einfach sehr gut gemacht“, murmelte sie und klopfte dann einige Male eher unbeholfen auf Katies Schulter.


Ohne Nhouria hätte ich dich nicht retten können. Prüfend sah Katie in Leonoras Gesicht. Die Narbe zog sich flammrot von der Stirn über den Kieferknochen bis zum Hals und Leo war immer noch blasser als sie alle, trotz der intensiven Sonneneinstrahlung. Sie sieht aus, wie ich mir ein Kriegsopfer vorgestellt hätte. Wütend pfefferte Katie das aus verschiedenen Überresten zusammen improvisierte Stethoskop in die Kiste. Wie in aller Welt konnte ich glauben, eine Ärztin zu sein?


„Unsere Scouts müssten auch bald wiederkommen, oder?“, fragte sie, um ihren Ausbruch zu kaschieren. Heute war Ellania mit Nhouria und Jonar als ein Trupp und Beo mit Cam als der zweite losgezogen, während Jiel und Katie „frei“ hatten. Vielleicht finden sie ja irgendetwas... Einen Hinweis auf eine Zivilisation. Eine Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen.


Sie hatten in den vier Wochen seit dem Absturz einiges erreicht: Mit Trümmerteilen hatten sie das Lager in der Nähe der Pflanzen befestigt und wenigstens ein paar etwas abgetrennte Abschnitte schaffen können. Jiel hatte aus den Blättern der Pflanzen eine Art Lotion hergestellt, mit der sie sich zum Schutz eincremten. Abends lernten sie alle Sullustanisch – bis auf Cam und Leo – oder erzählten Geschichten. Beo und Cam hatten aus zwei Metallgraten Stichwaffen gebaut, und mit denen - Nhouria mit dem Lichtschwert - hatten sie gefangene Mäuse und eine Art Schildkröte zerlegen können. Blaster benutzten sie nur, wenn rote Wölfe auftauchten, und die, die sie getötet hatten, waren auch im Kochtopf gelandet, genau wie Unmengen der Pflanzen. Das Kochen funktionierte, indem sie mit getrockneten Pflanzen ein Feuer machten. Und die Mäuse schmecken sogar. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie hungrig war, überlegte Katie. Jedenfalls verhungerten und verdursteten sie nicht. Dennoch: Wir haben keinerlei Energie. Keine Kommunikationsmöglichkeiten. Und außer ein paar Koltopacks nichts, um heilen zu können. Und außerdem werden wir uns vermutlich irgendwann alle an die Gurgel gehen.


„Nanu, Dr. Deloran: So in Gedanken?“, hörte sie plötzlich Cams Stimme an ihrem Ohr. „Verdammt!“ Sie fuhr herum. „Erschreck mich nicht so!“ Das braune Haar des Draufgängers war auf dem Kopf und auch im Kinnbart von der Sonne ausgebleicht, aber seine schönen Augen funkelten himmelblau und so entspannt, als seien sie sich gerade irgendwo in einer Cantina in der zivilisierten Welt begegnet. „Verzeihung“, erwiderte er sanft. „Kann ich es irgendwie wieder gut machen?“


Das Schlimme war, dass er es konnte, wie sie seit dem einen Tag wusste, an dem alle anderen zur Erkundung ausgezogen waren und Leonora erschöpft geschlafen hatte. Und wie er es kann.

Die Entscheidungen waren nur der Anfang von etwas. Wenn man einen Entschluss gefasst hatte, dann tauchte man damit in eine gewaltige Strömung, die einen mit sich riss, zu einem Ort, den man sich bei dem Entschluss niemals hätte träumen lassen. (Paulo Coelho)