Unterwelt





Wäre seine Nächtigungsstelle ein anderer Planet gewesen, hätte er sicherlich sein Verschlafen an dem gleißenden Sonnenlicht durch die halb-herunterglassenen Rollläden bemerkt. Hier, auf dem Schmugglermond der Hutten, würde höchstens das Fehlen von blinkenden Werbetafeln oder der nächtlichen Lichter auffallen, die hier immerhin zu gleichen Maßen omnipräsent waren. Kein Wunder, dass hier kein Entspannungssuchender jemals Urlaub macht, wäre immerhin auch reichlich dämlich.


Er brauchte keinen Spiegel als er sich einen Wasserschwall durch das Gesicht schlug, denn er wusste ganz genau, dass sein Aussehen gewohnt gelangweilt und grimmig aussah. Sicherlich stammt er nicht aus dem Leib seiner Mutter, sondern aus den Ergebnissen irgendeiner Umfrage, dessen Ergebnisse spontan umgedreht wurden. Anstelle von tiefen, blauen Augen, in denen man die Weite des tropischen Ozeans erkennen kann, ziert ein langweiliges Braun seine Augen, in dem man nicht viel mehr als die Weiten der örtlichen Kloaken sehen mag. Anstelle von nobler, heller Hautfarbe, haben seine Gene wohl das strenge Ziel verfolgt, sein Aussehen in die Nacht integrieren zu wollen. Das würde neben dem dunkelhäutigen Hautton, auch das restlose Fehlen jeglichen Haaransatzes auf seinem Kopf erklären. Nun, seien wir ehrlich: Den rasiert er sich seit etlichen Jahren, das hat grundsätzlich wenig mit der Gunst der Vererbung zu tun. Der einzige Pluspunkt seines Genpools war wohl, dass sich die Anzahl seiner Muskeln immerhin nicht versteckt und entsprechend auch für dritte Personen gut sichtbar ist. Der übergeworfene Mantel erübrigt die lästige Suche nach den passenden Klamotten und ersetzt sie durch das wahllose Anziehen von einzelnen Teilen, die glücklicher Weise alle einen abweichenden Braun-, Grau- oder Schwarzton fielen.


Er war zu spät in einer der Seitengasse der unteren Ebenen, aber das war schon in Ordnung, denn wichtige Leute kamen _immer_ zu spät. Vielleicht keine sechs Stunden, aber das zusätzlich in Betracht zu ziehen, wäre rücksichtslose Haarspalterei. So wanderte er weiter in schlacksigem Gang durch die Gasse, die wenig vom sonstigen Prunk dieses Mondes zu bieten hatte: Hin und wieder tauchte ein Implantatehändler von der Sorte auf, die man nicht zu sich in die Wohnung lassen sollte, vorrausgesetzt man besitzt überhaupt ein Dach über dem Kopf, das man ohne Gewissensbisse ‘Wohnung’ nennen könnte. Die bekamen genauso wenig aldim’sche Zuwendung zu spüren, wie die bettelarmen Gossenhocker es taten, die sich hier an jeder Ecke befanden. Das war nicht einmal ein humorvoller Scherz, denn tatsächlich finden sich die Gruppen dieser Plagegeister an jeder dunklen Ecke ein.
Das war alles nicht sein Problem, denn das bestand darin, den unangenommenen Auftrag irgendwie doch noch in das eigene Boot zu holen oder immerhin einen Ersatz zu finden, weswegen es ihn auch an diesem Abend in die stickige Unterweltbar führte, die schlicht keinen Namen hatte. Eine herzliche Begrüßung: Laute, stimmungsgeladene Musik, katakombenähnliche Gänge im Lokal selbst und eine Decke, die bedeutend tiefer hängt als es vom ursprünglichen Erbauer erwünscht war, bedingt durch den dichten Rauchfilm, der förmlich in dem Netzwerk aus Räumen steht. Ein frischer Luftzug und erhellendes Licht? Wer braucht das schon? Das einzige, bedeutsame Wort, welches auf dem Buchstaben ‘L’ beginnt, ist 'lukrativ’.


Es war wie zu erwarten, denn die Lokalität war zwar gefüllt, aber von den falschen Leuten. Solche Leute, die hier waren, um den Abend zu genießen und sich nicht für den nächsten Tag oder die nächste Woche einzudecken. Trotzdem amüsierten sie ihn an jedem Abend wieder. Keine Frage, er mochte diesen Ort mit den viel zu alten Stripperinen, dem heimlichem Waffengeschiebe und dem offenen Drogenhandel. Es war ein netter Nebeneffekt, dass man hier an so einige Informationen herankam und sich an Aufträgen von anonymen Ausschreibern hingeben konnte; Wegen letzterem trieb es das Schwarzgesicht an diesem Abend her, immerhin musste man das mittagliche Verschlafen mit irgendwelchen Mitteln ausgleichen.


Die Musik nahm er auf und verinnerlichte sie unfreiwillig: Harte Bässe, stimmungsvolles Gekreische, klingende Klänge eines Xanthras und das wunderbare Kreischen der Frontfrau, die ebenso auch als Mann hätte durchgehen können.
Er übergab sein gestriges Abendessen in eine der Plastikpalmen, die mit ihren kleinem grünen – und jetzt teils braunen – Blattwerk den Raum versuchten aufzulockern und bei dieser auferlegten Aufgabe aussichtslos scheiterten. Immerhin war es keine Livemusik, denn der ganze Aufbau der Location war nichteinmal geräumig genug, um sich mit vier Leutem zusammenzusetzen, abgesehen von den vereinzelten Separees.


Ohnehin waren es die abgetrennten Bereiche, die seine hauptsächliche Aufmerksamkeit auf sich zogen. Zwar warem Vorhämge dort, aber sie verdeckten die dahintersitzendem Gestalten nur von Kopf bis Hüfte, sodass er an den Unterteilen der Personen die Identität einschränken konnte.


Wenige augenscheinlich abgearbeitete Separeevorhänge später, runzelt sich seine Stirn voller überraschter Verwunderung: Den Tisch, den er gesucht hatte. Er kannte das Leder und den Stoff von den vier Personen, die dort am Tisch saßen. Vier, aber nach der letzten Aktion nahm er eine dieser Personen nicht mehr für voll, weswegen es im Endeffekt drei Leute waren, die zusammen an einem Tisch saßen und Karten spielten.


Perfekt, dachte er sich. Wenn drei Leute an einem Tisch für vier Personen Karten spielen, könnte man sich auch direkt dazusetzen. Gedacht und umgesetzt, denn die ausgeblendete Gestalt erhob sich sogleich vom Tisch als er dem Tisch näher kam, wohl irgendeinen Fehler einsehend – oder war er doch zu einer günstigen Zeit fertig geworden, denn das Ale war leer. Das Verhalten des Aufstehenden löste ein unsymmetrisches, groteskes Grinsen auf seinen Zügen aus, dem er nur schwer widerstehen konnte, faktisch nämlich garnicht. So setzt er sich auf den, mehr oder minder, angebotenen Stuhl und begann mit dem ihm bekannten Gesichtern zu reden, was das ganze Prinzip der anonymen Vermittlung für Stammkunde eigentlich ziemlich hinfällig machte.

"Machtanwender? Meinen Sie diese lichtschwertschwingenden Mottenfänger?", und die beiden Porg sehen das auch so!

:thumbs_up:



»Wir dürfen uns nicht verlieren!« »Wo bist du jetzt genau?«