Balmorra - Belagerung (2)

Leere Geschosshülsen klimperten mit schwerem Gewicht über den Boden. Das Glitzern der Metalllegierungen hatte eine unorthodoxe Schönheit an und für sich, von der späten Nachmittagssonne beschienen entluden sie sich heiß glühend nach jedem Schuss und schimmerten gleich verspäteten Tautropfen an einem ruhigen Sonntagnachmittag. Heißer Dampf stieg mit jedem Mal, wenn der Kammerverschluss sich öffnete aus und die Geschützingenieure rollten die schweren Hülsen mit Handschuhen beiseite. Die Kriegsmaschinerie des Artilleriebeschusses lief in vollem Gange, der schwarze Regen aus Explosivgeschossen regnete unerbittlich auf die Stahlkonstruktionen nieder, die sich mit zunehmendem Beschuss als Nuss herausstellte, die immer härter zu knacken wurde. Trümmerteile überlagerten intakte Gebäudeteile und wurden zur unfreiwilligen Panzerschicht noch über der eigentlichen, dicken Metallpanzerung, die der Waffenfabrik aus Sicherheitsgründen gegeben wurde.


Mittlerweile hatte das andauernde Bartgezwirbel des Captains es so weit gebracht, den gleichen Effekt wie ein Lockenwickler zu haben – ein paar seiner Barthaare bleiben gelockt stehen, nur um das Werk von gleich mehreren Stunden mit einem Streichen der Hand zu vernichten und den dunklen, dichten Wuchs glattzustreichen. „Rufen Sie Sergeant Calk her. Er soll sich bei mir melden und seinen Männern den Befehl geben, Gefechtsbereitschaft herzustellen.“ Der Mann, der sich als einer von zwei weiteren am nächsten vom Captain im Kommandoposten aufhielt nickte, als er realisierte, dass die Worte offenbar an ihn gerichtet wurden – Und ging.


Drei Minuten später erschien er wieder, in Begleitung. An seiner Seite stand ein bulliger Mann in pechschwarzer, imperialer Rüstung, von der sich im aufdringlichen Protest allerdings ein weißer Farbhandruck abhob. Tobris gestattet die Abweichung von der eigentlich sehr strengen Vorschrift für die Unterlassung von optischer Individualisierung in jedweder Form, da er wusste, dass es der Moral zuträglich war – Zumal es in Calks Fall eine besondere Sache war. Der Sergeant bekam seine rechte Hand bei einem Duell mit einem republikanischen Kommando von einer Vibroklinge sauber abgetrennt, schlug ihm dennoch mit der verbliebenen den Schädel ein und brachte seine abgeschlagene Hand mit ins Feldlazarett, tumb nachfragend, ob noch etwas zu retten sei. Als der Frontsanitäter verneinte, zuckte Calk schweißüberlaufen mit den Schultern und ließ sich in den folgenden Wochen einen kybernetischen Ersatz geben – mit nur drei Fingern, auf eigenen Wunsch. Die alte Hand ließ er sich schließlich auf der Brustrüstung verewigen, damals, als Tobris noch Lieutenant des 43. Infanterieregiments war. Schon dort hatte er es ihm gestattet und durch die gemeinsamen Erfahrungen im Feld eine enge Bindung zum oft recht wortkargen, aber verlässlichen Sergeant gefasst. Mit dem schwarzen Helm unter seinem fleischig dicken Arm und dem G518 locker geschultert trat der Mann, der von einer anderen, etwas neueren Verletzung noch eine kybernetische Unterkieferverstärkung hatte an Tobris heran, den er um gut zwei Köpfe überragte.


„Captain. Melde mich wie befohlen, die Männer sind sich am Vorbereiten.“, brummte er im Tonfall eines guten Soldaten. „Gut, gut. Wissen Sie, Calk, ich habe mich dazu entschieden Sie ohne die Deckung der Panzer über die rechte Flanke des Hügels in die Fabrik vorstoßen zu lassen. Dort werden Sie sich zwar durch die Trümmer kämpfen müssen, aber diese Zeit haben wir. Unsere aufsässigen Freunde sind eingeschlossen.“
Calk entfuhr ein überlegendes Grunzen. Aufgrund der starren Unterkieferkybernetik und ein paar gelähmten Muskeln konnte er nicht mehr Schmunzeln, aber Tobris wusste, dass Calk genau das nun getan hätte, könnte er denn noch. „Sie wollen uns also nicht in der Deckung von Kane vorrücken lassen?“
Mittlerweile war es also selbst unter den Unteroffizieren und Mannschaftern kein Geheimnis mehr, dass Tobris und Kane eine Fehde führten. Eine, die sich zwar noch nicht in negativen Auswirkungen entlud, aber wie ein bewaffneter Sternenzerstörer über ihnen schwebte, jederzeit bereit in einem Inferno das Feuer zu eröffnen. Kanes Panzerzug ist der größte in Tobris Kompanie und – das musste sich der Captain mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge eingestehen – der effizienteste. Ihn offen gegen sich aufzubringen oder einfach auszutauschen würde ihm schaden, da er selten so einen fähigen, aber auch eigensinnigen Panzerkommandanten erlebt hat.
„Nein, das will ich nicht. Die Ruinen an der Fabrikfront sind ein gefährliches Areal für Panzer, unter den Trümmern lassen sich problemlos Sprengsätze verstecken die mindestens zwei, wenn nicht drei der Panzer ausschalten könnten. Würden Sie das für eine gute Idee halten, Calk?“
„Mh, nein Sir.“, lautete die einfache Antwort, halb überzeugt, halb im Unglauben darüber, dass das der wahre Grund sein sollte.
„Eben. Ich werde Ihnen Specialist Tzarich an die Hand geben, der Bursche braucht Erfahrung in engen Räumen.“
„Specialist Tzarich, Sir…?“ Während die Lippen einen unnatürlich ebenen Strich bildeten, erhoben sich die Brauen ganz knapp.
„Ja. Haben Sie etwas zu beanstanden, Sergeant?“ In dem Ton lag keinerlei Drohung, wie es vielleicht bei einem anderen Offizier der Fall gewesen wäre, der nur auf eine Bestätigung gelauert hätte, um zur Disziplinarpeitsche zu greifen.
„Uh Sir, der Mann wurd‘ letztens erst vom Doc mit Klaustrophobie diagnostiziert.“
„Noch ein Grund mehr ihn mitzunehmen, nicht wahr?“ Tobris war sich offenbar sehr bewusst darüber, er kannte die Männer in seiner Kompanie und ihre Macken. Noch nicht ein einziges Mal überließ er die Truppkonstellation dem Zufall. Die gehobenen Brauen von Calk verschwanden allerdings nicht und in ihnen lag sowas wie ein kameradschaftlicher Vorwurf. Tobris seufzte und vergrub sein Gesicht kurzzeitig in der rechten Hand, die sich im strengen, schwarzen Handschuh befand. Zwei Finger massierten die Nasenwurzel.
„Er übernimmt mit dem zweiten Trupp ihre Rückendeckung. Lassen Sie ihn auf zehn Schritten Abstand zu Ihnen vorrücken und er wird schon keine Panik bekommen. Darauf haben Sie mein Wort.“
„Verstanden, Sir. Wie lautet die Direktive zum Verfahren mit den Aufständischen?“
„Sie erschießen so viele wie nötig, aber bringen den kapitulierenden Rest zu mir. Setzen Sie wenn nötig ein Zeichen, keine unnötigen Opfer. Ich will so viele von diesen Arbeitern wie möglich haben.“
Das Nicken des Sergeants kam etwas verzögert, doch es war eines. Er brachte kein weiteres Wort heraus und über Tobris Nasenwurzel bildete sich ein gefährliches, skeptisches Runzeln, das den Unteroffizier mit einem scharfen Blick in den kneifenden Fokus zweier stahlblauer Augen zwischen gealterten Lidern zwang.
„Haben Sie sonst noch Fragen, Calk?“ In dem Ton lag dieses Mal tatsächlich etwas lauernde Schärfe, denn viel mehr als mögliche Fehltritte hasste Tobris, wenn man mit den eigenen Worten hinterm Berg hielt.
„Naja, Sir… Die Männer und ich fragen uns, wieso der ganze Aufwand wegen einer mickrigen Fabrik gemacht wird. Wir haben jetzt gewiss vier Stunden aus vier Rohren auf den Vorbau eines Bunkergebäudes geballert, das bis in den Berg reicht. Wieso das alles? Wir hätten auch viel offensiver vorgehen können und die Rebellen gestürmt. Sie sind schlecht ausgerüstet, uns zahlenmäßig weit unterlegen und trotzdem versuchen wir sie weiter festgepinnt zu halten.“
Tobris ließ die Barthaare über der Oberlippe durch ein paar gezielte Muskelimpulse wackeln. Letztlich spitzte er die Lippen zu einem skeptischen Ausdruck, seine buschigen Brauen zogen sich näher aneinander heran und die korrekte Erscheinung des Offiziers in seinem wetterfesten, dekorierten Feldmantel mit imperialen Dienstorden und Ehrenmedaillen kam der hünenhaften Gestalt des Sergeants völlig von sich aus näher.
„Ich habe doch gerade eben gesagt - _Arbeiter_. Würden Sie es vorziehen, wenn einige Ihrer RfsB Kameraden auf Befehl des Oberkommandos zu Reklamierten werden die in die Fabriken gestopft werden? Es ist also auch in Ihrem Ansinnen, so wenige Tote zu provozieren wie nur möglich.“
„Aber Sir, die Saat des Ungehorsams und des Verrats ist in diesen Köpfen vorhanden. Wer garantiert, dass sie, nachdem die Fabrik wiederaufgebaut wurde nicht nochmal rebellieren?“
Während es der Sergeant vorzog, aufgrund der Nähe zum Captain doch lieber geradeaus auf dessen nussbraunen Haarschopf zu sehen um den Blick nicht von oben herab senken zu müssen, begnügte sich der Captain mit einem triumphalen Ausdruck in den Augen, die sich auf Calks metallisch harten Unterkiefer legten.
„Lassen Sie das meine Sorge sein, Calk. Sie führen nun Ihre Befehle aus und bringen diese Fabrik wieder unter unsere rechtmäßige Kontrolle. Abtreten.“
Der Sergeant nickte stramm, salutierte und trat ab.