Teil 2: Rock hits bottom

Freier Fall. Sayouri liebte dieses leichte, kribbelnde Gefühl in der Magengegend, wenn man irgendwo rauf kletterte und dann runter sprang. Vor allem, wenn man weich landen konnte. Und noch mehr, wenn jemand am unteren Ende sie auffing und an sich drückte. Sie hatte es geliebt, auf das Vordach des Ryu-Guts zu klettern, die Füße vom Rand baumeln zu lassen und zu springen, wenn jemand von ihren Eltern unten bereit stand. Oder die Treppen zwischen den Weintrassen hinunter zu springen und im Matsch zu landen, auch wenn ihre Mutter sie für die dreckigen Kleider geschimpft hatte. Irgendwie hatte sogar das den Reiz ausgemacht, denn wann immer ihre Mutter sie geschimpft hatte und ihr Vater daneben stand, hatte Say in seinen Augen dieses belustigte Funkeln erkennen können.
Hart krachte die kleine Twi’lek auf das vordere Verdeck des Mülltransporters, wurde weiter geschleudert und prallte gegen einen größeren Metallbalken auf der Ladefläche und blieb darunter liegen. Benommen blieb sie liegen und starrte hoch zu der Taxi-Plattform des Mezenti-Raumhafens und zu ihren Verfolgern, die immer kleiner wurden. Als sie außer Sicht waren, versuchte sie den Kopf zu heben, doch als es sie schwindelte, ließ sie wieder in die weiche, stinkende Masse unter sich sinken. Selbst wenn sie klar denken hätte können, sie hätte nicht wissen wollen, worauf sie da gelandet war. Die Zeit verschwamm, ebenso die Eindrücke von vorbeifliegenden Gebäuden und dem ewig roten Himmel. Es war ja auch nicht so, als hätten diese Dinge noch eine Rolle gespielt. Say war allein und in einer Hölle voller Monster gelandet. Wie viel schlimmer konnte es schon noch werden?
Die Frage wurde jäh beantwortet, als die Ladefläche zu kippen begann und der Müll darauf mitsamt Sayouri ins Schlittern kam. Ehe sie sich versah, war sie wieder im freien Fall, landete auf einem Müllberg und kullerte hinunter in eine kleine Talsohle aus Abfall. Hinter ihr folgte die restliche Ladung des Transporters und begrub die kleine Twi’lek unter sich. Um Sayouri wurde alles schwarz. Schwarz und stickig, vom Gestank ganz zu schweigen. Erst versuchte sie noch, gegen den Druck auf ihren Gliedmaßen anzukämpfen, schließlich gab sie jedoch auf. Sie sagte sich, sie würde bald wieder bei ihren Eltern und Schwestern sein.
Wieder sollte sie sich irren. Zwei langfingrige, braune Hände wühlten sich durch den Dreck und Abfall zu ihr hindurch, schlossen sich um ihr zartes, rechtes Ärmchen und hoben sie aus ihrem stinkenden Grab. Als sie so in der Luft baumelte, kniff sie ihre Augen zusammen, um im blendenden Licht etwas zu erkennen. Nach und nach erkannte sie Umrisse von etwas, das wie einer der Pilze aussah, die ihre Mutter öfter vom Markt mitgebracht hatte. Nur war dieser Pilz deutlich größer und hatte Augen. An weiter unten öffneten sich am Rand zwei Schlitze und sprachen zweistimmig auf sie ein. Wieder einmal verstand sie kein Wort. Sie starrte den sprechenden Pilz nur panisch an, begann zu strampeln. Bis er sie los ließ. Sie landete auf ihren Füßen und biss die Zähne zusammen, als stechender Schmerz in ihrem linken Bein und der linken Flanke aufflammten. Doch vom Schmerz ließ sie sich nicht ausbremsen. Sie humpelte von dem sprechenden Pilz mit den zwei Mündern und den langfingrigen Händen davon. Anders als die Leute auf dem Raumhafen verfolgte er sie nicht, sondern sah ihr nur stumm nach. Dann ging er wieder in die Hocke und wühlte in dem Loch weiter, aus dem er Sayouri gezogen hatte.
Die kleine Lethan humpelte weiter, einen Müllberg hinauf, sah sich um. In einem Radius von mehreren hundert Metern um sie herum war nichts als Müll, umgeben von hohen Mauern, hinter denen Gebäude mit dampfenden Schornsteinen hochragten. In den Müll-Tälern konnte sie hier und da den Schein von kleineren Feuern erkennen, an denen sich wohl weitere sonderbare Monster wärmten. Von dem Feuer, das ihr am nächsten war, konnte sie die Fetzen eines Gesprächs hören, das sie nicht verstand, gefolgt von Gelächter – wenigstens das war in allen Sprachen gleich. Say humpelte mit ihrem Kuschelbantha in der linken Hand darauf zu, stolperte einmal, landete im Dreck, rappelte sich wieder auf, wischte sich die Müllreste vom Saum ihres schlichten, mehrfach eingerissenen Kleides, und humpelte weiter. Sie bog um eine Ecke und konnte das Feuer sehen, gemeinsam mit zwei Gestalten, die daran saßen, etwas über dem Feuer brieten und sich unterhielten. Einer davon hatte ein Gesicht, das sie an einen Kaktus erinnerte, das Gesicht des anderen war lang und blau, mit großen, rot-braunen Augen. Noch hatten sie sie nicht entdeckt, also ging Sayouri hinter einem alten Plasteel-Fass in Deckung und harrte dort aus. Bei dem Geruch des Bratens zogen sich ihre Mägen zusammen und knurrten. Sie drückte sich die Hände auf den Bauch, um das Gefühl der Leere zu unterdrücken und lauschte weiter. Die Sprache der beiden Monster war die gleiche wie die der rettenden Pilz-Gestalt und der Monster auf dem Raumhafen – von der überdimensionalen Schnecke einmal abgesehen. Sie klang sogar ziemlich einfach, auch wenn Say kein einziges Wort davon verstand. Ab und zu lugte sie über den Rand ihres Fasses und spähte zu den beiden. Zwischen ihren Matratzen standen mehrere Plastikflaschen mit klaren, farblosen Flüssigkeiten darin – Wasser! Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie bei dieser Entdeckung die Luft scharf eingesogen hat, bis der mit dem blauen Gesicht sich zu ihr umdrehte. Gerade noch zog sie den Kopf wieder ein und blieb still sitzen. So verharrte sie, in der Hoffnung, dass die beiden irgendwann schlafen gingen.
Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich zur Seite hin umfiel. Ohne es zu merken, war sie selbst im Kauern eingeschlafen. Nachdem sie sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, spähte sie nochmal aus ihrem Versteck hervor. Die beiden Monster waren verschwunden, ihr Feuer war aus. Nur die Matratzen lagen noch da. „Verdammt!“, entfuhr es der kleinen Twi’lek. Sie trat nach einem alten, verrosteten Eimer, der gegen einen Haufen neben den Matratzen flog – und zuckte zusammen. Teils wegen den Schmerzen in ihrem Bein und ihrer Seite, teils wegen dem Lärm, den es machte. Nervös sah sie sich um, aber nichts und niemand rührte sich. Bis auf den Haufen, den ihr Eimer getroffen hatte und der ins Rutschen geraten war. Und der die Plastikflaschen offenbarte. Mit großen Augen humpelte Sayouri darauf zu, kramte durch die Flaschen und fand dazwischen sogar einen in silbrige Folie eingewickelten Rest des Bratens. Möglichst rasch, um auch ja nicht erwischt zu werden, schnappte Say sich zwei der Flaschen und die Bratenreste und hastete davon, so schnell es mit ihren Verletzungen ging. Um eine Linksbiegung, dann um eine Rechtsbiegung, wieder links und rechts, bis sie hinter einem Vorsprung aus rostigen Metallplatten in Deckung ging, nach Luft schnappte und horchte. Keine hörbaren Verfolger. Trotzdem presste sie sich so fest wie nur möglich gegen die Müllwand hinter – und fiel nach hinten hin über, als sie nachgab. Sie blieb still liegen, horchte wieder, dann sah sie sich um. Sie lag im Zugang eines kleinen Tunnels, der klein und tief genug war, um von den großen Monstern übersehen zu werden. Zögerlich krabbelte sie mit den Flaschen unter dem rechten Arm, den verpackten Bratenresten in der rechten Hand und ihrem Bantha in der linken den Stollen entlang, bis sie in einen dunklen Raum kam. Das einzige Licht drang durch den Stollen herein. Es war zwar gruselig, aber nichts rührte sich und nichts bewegte sich.
Zögerlich rief Say in den Raum: „H-hallo?“
Keine Reaktion. Sie rief nochmal und atmete erleichtert aus, als sich weiterhin nichts rührte. Nun endlich wagte sie, sich über ihre Beute herzumachen. Der Braten war zäh und viel zu wenig gesalzen. Aber sie hatte ihn trotzdem in kürzester Zeit verdrückt und leckte sogar die silbrige Folie ab. Dann griff sie zu einer der Flaschen, schraubte sie auf, nahm einen großen Zug – und hustete. Das Wasser brannte in ihrem Hals! Was war das nur eine Welt, auf der sogar das Wasser falsch ist?! Sie nahm noch einen großen Schluck, aber das Wasser brannte zu sehr. Also schraubte sie sie zu, stellte sie zur Seite und griff zur zweiten. Nur steckte sie diesmal nur einen Finger hinein, benetzte ihn mit der Flüssigkeit und leckte sie vom Finger. Kein Brennen. Dieses Wasser war in Ordnung. Gierig setzte sie die Flasche an die Lippen und trank sie halb leer. Dann sank sie in ihrem neuen Unterschlupf auf den Boden, betastete ihre linke Seite und ächzte. Es tat zwar weh, aber nicht allzu sehr. Dafür wurde sie wieder schwindlig. Sogar noch mehr als zuvor. Der Raum begann sich zu drehen, der Tunnel ins freie war mal weiter links, mal weiter rechts. Was auch immer das nun war, es gefiel ihr nicht. So gar nicht! Also tat sie das einzige, was sie tun konnte: Sie kauerte sich zusammen, presste ihren flauschigen Bantha an sich und schloss die Augen.
Es dauerte nicht lange, bis sie in einen tiefen, aber unruhigen Schlaf fiel. Und so endete Sayouris erster Tag auf Nar Shaddaa.